Eine Fahrt mit der Straßenbahn 28 ist das Objekt der touristischen Begierde schlechthin und gehört wohl für fast jeden Lissabon -(Erst-)Besucher auf die Bucket List. Wenn Du tagsüber und in der touristischen Hochsaison eine Tour mit der „Eléctrico 28“ machst, kann das allerdings eher zu Frust und Zeitverschwendung führen. Deshalb hier schon mein erster Tipp: Lass es einfach! Wie es vielleicht trotzdem klappt, liest Du in diesem Beitrag.
Warum eine Fahrt mit der Straßenbahn 28 frustrierend sein kann
Hier erstmal ein paar Argumente, warum eine Tour mit der Straßenbahn 28 frustrierend sein kann:
- Wartezeit: Wenn Du in Lissabon mit der „28“ fahren willst, ist weit und breit keine in Sichtweite. Eigentlich gibt es sogar einen Fahrplan, aber der ist reine Makulatur. Theoretisch müsste tagsüber wenigstens alle 8-10 Minuten eine Tram kommen. Tatsächlich kommt oft sehr deutlich länger keine, dafür dann eventuell mehrere hintereinander. Gründe dafür gibt es einige, z.B. Stau, die Strecke ist zugeparkt, Passagiere bezahlen einzeln beim Fahrer, usw.
- Kapazität: Jeder Wagen hat offiziell ca. 20 Sitzplätze und knapp 40 Stehplätze. In der Realität quetschen sich einfach so viele Leute rein, wie irgendwie passen. Deine Chancen auf einen Sitzplatz sind also recht gering. Ist eine Straßenbahn voll, dann fährt sie weiter oder hält auch gar nicht erst an. Die Chance ist also groß, dass Du an einer Haltestelle nicht mit der erstbesten Bahn mitkommst und mindestens auf die nächste warten musst.
- Du willst was sehen und siehst … NICHTS. Eigentlich wäre die Linie 28 nahezu perfekt für eine günstige „Stadtrundfahrt“ durch Lissabon, da sie durch das „innere Zentrum“ der Stadt an vielen Sehenswürdigkeiten vorbei fährt und die meisten touristisch interessanten Viertel wie Baixa, Graça, Alfama, Bairro Alto, Lapa oder Estrela wenigstens tangiert. Doch Pustekuchen. Wahrscheinlich stehst Du eingezwängt inmitten einer Meute plärrender Touristen aus allen Teilen der Welt und siehst vielleicht schräg von oben das Straßenpflaster neben den Gleisen.
Wie es trotzdem ein tolles Erlebnis werden kann
Wenn Du einigen wenigen Ratschlägen auch nur teilweise folgst, vergrößert das Deine Chance ungemein, dass Du eine unvergessliche Fahrt mit der Linie 28E haben wirst.
- Vermeide die touristischen Stoßzeiten: Je früher (empfohlen) oder je später Du die Straßenbahn besteigst, desto entspannter wird Deine Tour sein. Ab ca. 6 Uhr (sonntags ab 7) fahren die ersten Bahnen, die letzten zwischen 22 und 23 Uhr. Du musst am Morgen nicht die allererste Bahn nehmen, aber bis gegen 9, spätestens 10 Uhr solltest Du „durch“ sein, sonst wird es eher stressig. Wenn Du nicht sowieso ein Frühaufsteher bist, dann stell Dir ausnahmsweise auch im Urlaub einen Wecker.
- Wähle die richtige Abfahrt-Haltestelle (1): Wer die gesamte Strecke abfahren will, stellt sich in der Regel an der Haltestelle Martim Moniz an. Diese Haltestelle ist recht zentral am Rande der Baixa gelegen, umgeben von vielen fußläufig erreichbaren Hotels und sonstigen touristisch interessanten Attraktionen. Hier wartet man zu Stoßzeiten schon „gern“ mal eine Stunde, um mit einer Tram mitzukommen. Einfacher ist es, wenn Du Deine Tour in entgegengesetzter Richtung an der Haltestelle „Prazeres“ beginnst. Diese Haltestelle ist etwas weiter weg vom touristischen Trubel und Du hast in der Regel auch tagsüber eine gute Chance, gleich mit der nächsten Bahn mitzukommen. Notfalls solltest Du ein Taxi oder Uber nehmen, um zum Ausgangspunkt Deiner Tour zu kommen. An dieser Haltestelle befindet sich übrigens der Friedhof Cemitério dos Prazeres, der – wenn Du schon mal da bist – unbedingt eine Besichtigung wert ist.
- Wähle die richtige Abfahrt-Haltestelle (2): Wenn Du nicht die gesamte Strecke fahren willst, kann folgender Tipp hilfreich sein: Nicht alle Straßenbahnen der Linie 28 fahren die komplette Strecke von Martim Moniz bis nach Prazeres. Auch wenn es nicht im Fahrplan steht: Es gibt zusätzliche Fahrten zwischen Graça und Estrela und umgekehrt. Die Linienführung ist ansonsten gleich, die Bahnen starten und enden lediglich nicht an den eigentlichen Endhaltestellen, sondern ein paar Haltestellen später/früher. D.h.: diese Strecke ist höher frequentiert als die komplette Strecke. Die wichtigsten Highlights bekommst Du auch auf der verkürzten Strecke mit. Auch hier gilt, dass es in der Richtung von Estrela nach Graça eine etwas geringere Nachfrage gibt und Du außerhalb der Stoßzeiten fahren solltest.
Damit die Tour mit der Straßenbahn 28 entspannt und stressfrei wird, beachte auch die folgenden Hinweise
- Besorge Dir ein Ticket vorab: Das spart Dir beim Einsteigen nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Ein beim Fahrer gekauftes Ticket kostet Dich 3 EUR. Ein vorab gekauftes Einzelticket kostet Dich mit 1,50 EUR nur die Hälfte. Sehr empfehlen kann ich Dir, einen Zapping Tarif zu kaufen, mit dem Du nochmals ein paar Cent einsparen und komfortabel alle Verkehrsmittel des ÖPNV in Lissabon nutzen kannst.
- Sei rücksichtsvoll: Bedenke, dass die Linie 28 nicht nur der Bespaßung von Touristen dient, sondern nicht zuletzt ein öffentliches Transportmittel ist. Gerade ältere, gebrechliche oder behinderte Einheimische nutzen streckenweise die 28, um von A nach B zu kommen und um größere Höhenunterschiede zu überwinden. Es sollte hoffentlich auch für Dich selbstverständlich sein, solchen Menschen beim Einsteigen den Vortritt zu lassen oder in der vollen Bahn Deinen Sitzplatz anzubieten.
- Stell Dich an! Ähnlich wie auch in London stellt man sich in Lissabon an Bus- und Straßenbahnhaltestellen der Reihe nach an. Wenn die Bahn (oder der Bus) kommt, steigt man entsprechend der Warteschlange nacheinander ein. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, trotzdem kommt es dank einiger Touristen immer mal wieder zur „Rudelbildung“, wenn eine 28 vorfährt. Trau Dich durchaus, in solch einer Situation die Betroffenen auf ihr Fehlverhalten anzusprechen. Sehr wahrscheinlich wirst Du sowohl von Einheimischen als auch von anderen in der Schlange wartenden Touristen unterstützt.
- Mach die 28-Tour möglichst am Anfang Deines Lissabon-Trips: So siehst Du schon mal interessante Sehenswürdigkeiten und bekommst ein Gefühl für die Stadt und die einzelnen Stadtviertel. Später wirst Du einzelne Attraktionen noch genauer unter die Lupe nehmen.
- Fotografier nicht zuviel! Wenn Du in der Straßenbahn sitzt/stehst und nur mit Deiner Kamera oder Deinem Smartphone beschäftigt bist, wird Dir gezwungenermaßen einiges entgehen. Aus der Bahn heraus wirst Du nur selten die optimalen Fotos/Videos machen können. Es wird verwackelt oder der Blickwinkel stimmt nicht. Genies lieber die Fahrt und das Flair. Wenn Du gezielt Fotos machen willst, dann fahr die Tour lieber ein zweites Mal, dann wirst Du besser vorbereitet sein.
- Fahr Deine geplante Strecke bis zum Ende durch! Du wirst vermutlich unterwegs an vielen Stellen vorbei kommen, die Dich näher interessieren und wo Du deshalb sofort gern aussteigen würdest, um die Sehenswürdigkeit, den Aussichtspunkt, das Restaurant oder die Bar zu besuchen. Gerade wenn Du am Anfang Deines Lissabon-Aufenthaltes bist und vielleicht zum ersten Mal mit der 28 fährst, dann empfehle ich Dir, Deine geplante Route abzufahren und ausnahmsweise mal nicht zwischendurch wegen „irgendwas Interessanten“ spontan auszusteigen. Wenn Du – wie von mir empfohlen – die 28er Tour am Anfang Deines Aufenthaltes gelegt hast, wirst Du später immer wieder an diesen (und vielen anderen) Attraktionen vorbei kommen und diese fotografieren und besichtigen können.
- Aussteigen! Wenn Du nicht an einer Endhaltestelle aussteigst, solltest Du die Straßenbahn am hinteren Ausgang verlassen, getreu dem Motto „vorne rein und hinten raus“. Wenn Du an einer Zwischenhaltestelle aussteigen willst, dann solltest Du dem Fahrer Deinen Haltewunsch vor Erreichen der Haltestelle mitteilen, indem Du auf einen der in der Bahn verteilten „Stop“-Buttons drückst. Über dem Fahrerstand leuchtet dann das Wort „Parar“ (Anhalten/Stopp) auf und der Fahrer wird Dir die hintere Tür zum Aussteigen öffnen.
Was Dir vor und vor allem während einer Fahrt mit der Straßenbahn 28 alles passieren kann
Die Fahrt mit der 28 kann ein tolles Erlebnis sein, vor allem wenn Du einige meiner oben genannten Ratschläge und Hinweise befolgst. Die Bahn rattert und zuckelt bergauf und bergab, schießt um die Ecken und ruckelt durch enge Gassen. Jede Fahrt kann auch einige Unwägbarkeiten mit sich bringen. Mir sind z.B. schon folgenden Dinge passiert:
- Die Endhaltestelle ändert sich: Das passiert vor allem, wenn sich mehrere Bahnen unterwegs angesammelt haben. Dann fährt Deine Bahn möglicherweise nicht bis zum ursprünglichen Endpunkt, sondern wendet bereits an einer geeigneten Haltestelle vorab, um schneller die Gegenstrecke bedienen zu können. Wenn Du weiter fahren willst, hast Du nur die Chance, eine der nachfolgenden Bahnen zu erwischen.
- Ein geparktes Auto versperrt die Weiterfahrt: Wenn das passiert, macht der Fahrer durch lautes Bimmeln und noch lauteres Fluchen auf sich und seine Bahn aufmerksam. Wenn das nicht hilft, wird ab und zu die Methode „4 Mann – 4 Ecken“ angewendet: Kräftige Männer (Passagiere, Passanten) „heben“ das Auto wenn möglich soweit zur Seite, dass die Tram passieren kann. Funktioniert natürlich eher bei Kleinwagen.
- Der Stromabnehmer „rastet aus“: Wenn es mal „freie Bahn“ gibt, dann haben die Fahrer auch gern mal einen Bleifuß. Durch die Ruckelei kann es dann passieren, dass ein Stromabnehmer aus der Oberleitung springt und ziemlich sinnlos in der Luft herumhängt. Dann muss der Fahrer aussteigen und den Stromabnehmer mit einem Seil wieder „einfädeln“.
- Die „Kids“ surfen mit: Ab und an hängen sich die (meistens) Jungs von außen an die Bahn, in der Regel auf dem hinteren Trittbrett und fahren ein Stück mit. Am häufigsten habe ich das in der Alfama gesehen, in der letzten Zeit kaum noch. Das ist natürlich verboten und gefährlich. Als Tourist solltest Du nicht mal auf die Idee kommen, das zu versuchen.
- Die Räder drehen durch: Das passiert nur bei sehr feuchtem Wetter an Steigungen. Normalerweise nimmt der Fahrer „Anlauf“, um diese Steigung problemlos zu überwinden. Wenn allerdings ein Hindernis den Weg bergauf versperrt, muss er abbremsen und die Bahn kommt zum Stillstand. Dann kann es beim Weiterfahren schon mal passieren, das zunächst die Räder durchdrehen. Aber keine Panik, die Trams haben immer etwas „Bremssand“ dabei, der – wenn notwendig – auf die Gleise gesprüht wird, um wieder „Fuß zu fassen“.
- Die Straßenbahn 28 fährt ohne Stopp vorbei: Das kann Dir vor allem passieren, wenn Du an einer Haltestelle allein wartest. Vielleicht bist Du sogar noch dabei, die ankommende Bahn zu fotografieren. Wenn es niemanden gibt, der an der Haltestelle aussteigen will, dann wird der Fahrer die Bahn nicht stoppen, wenn Du nicht explizit ein Handzeichen gibst und damit signalisierst, dass Du mitfahren willst. Im schlimmsten Fall ist die Bahn so voll, dass keiner mehr reinpasst und die Bahn deshalb trotzdem weiter fährt.
- Du wirst beklaut: Die 28 ist nicht nur berühmt sondern auch berüchtigt. Wie bei jeder touristischen Attraktion in jeder Großstadt dieser Welt verstehen die Langfinger ihr Geschäft perfekt. Taschendiebe lieben es, wenn es eng und turbulent zugeht, die möglichen Opfer abgelenkt sind. Auch wenn Du umsichtig bist: den potenziellen Dieb erkennst Du nicht am Alter, Geschlecht, Gesicht oder sonstwas. Nicht ohne Grund wird in allen öffentlichen Nahverkehrsmitteln in Lissabon auf die Gefahr von Taschendiebstahl hingewiesen. Lass einfach die nötige Vorsicht walten, nimm nur das mit, was Du über den Tag wirklich brauchst und achte etwas auf Deine (Hosen-)Taschen, vor allem, wenn Du stehend mitfährst, ein- oder aussteigst.
Alternative
Wenn Du unbedingt in Lissabon mit einer historischen Straßenbahn fahren willst, aber – aus welchen Gründen auch immer – es mit der Straßenbahn 28 nicht klappen will, dann versuche es doch mal mit der Tram-Linie 12. Diese fährt – wie die 28 – an der Haltestellem Martim Moniz ab und kommt genau dort auch wieder an. Der Rundkurs führt zunächst durch das Viertel Mouraria nach oben, danach wird ein kurzes Stück auf der Trasse der 28 durch die Alfama zurück gelegt, bevor die Tram wieder „unten“ zum Martim Moniz zurück kehrt. Die Strecke ist deutlich kürzer als die der Linie 28, aber kaum weniger abenteuerlich. Auch die Linie 12 ist kein Geheimtipp mehr, aber etwas weniger nachgefragt, als die 28. Die 12 fährt zwischen 8 Uhr und 21 Uhr, an Wochenenden zwischen 9 Uhr und 20 Uhr ca. im Viertelstunden-Takt an der Haltestelle Martim Moniz ab.